16.06.2023
Trendsport Raphael Dähler begeistert als Street-Trial-Bike-Athlet im Netz ebenso wie als Ratgeber. Der 22-Jährige aus Oberseen lebt von seiner Leidenschaft für Videos. Das verdankt er auch einem brutalen Sturz.
Dominic Duss
Zuerst beobachten sie ihn aus der Distanz. Dann nähern sich die zwei Jungs, und einer fragt: «Bist du Raphael Dähler?» Manchmal kommt das vor,wenn er an einem Spot in Winterthur seine Tricks ausübt. Im Gespräch mit den beiden Teenagern erfährt er, dass sie ihm auf Instagram folgen. «Mit Trial-Bike angefangen haben sie wegen mir!» Genau das treibt ihn an: «Andere zu inspirieren, sich zu bewegen, etwas zu wagen.»
Raphael Dähler hat sich in der Street-Trial-Szene einen Namen gemacht und so im vergangenen Oktober sein Hobby zum Beruf. Alles dreht sich bei ihm ums Biken. «Auch beim Spazieren mit meiner Freundin halte ich Ausschau nach neuen Spots», verrät er lachend. Orte, die sich optimal zum Filmen von Bike-Tricks eignen. Für seine «One-ManShow», wie der 22-Jährige sagt. Denn Dähler kombiniert alles, was er sich selbst beibrachte – die Tricks, den Schnitt seiner Videos, das Vermarkten seiner Person und Kleidermarke.
Weiss sich geschickt in Szene zu setzen: Raphael Dähler setzt beim Schulhaus Rychenberg zum «Foot-Jam-Whip» an. Foto: Nico Altherr
— Vom Gamen zurück zum Biken
Etwas verrückt war Dähler schon immer. «Als Dreijähriger raste ich mit dem Bobby Car die Kellertreppe hinunter», erzählt er schmunzelnd. Im Primarschulalter tobte er sich mit Kollegen auf dem Bike aus, sie bauten Trails im Waldstück hinter dem Schulhaus Oberseen. Unweit davon wuchs er in einer Künstlerfamilie auf und lernte als Sohn von Berufsmusikern Klavier spielen. «PC-Games waren ebenfalls eine Leidenschaft von mir, vor allem das Spiel Minecraft.» Davon stellte er seine ersten Videos online. «So kam ich erstmals in Verbindung mit Videoschnitt.»
Multimediadesigner wollte Dähler nach der Sekundarschule werden. In dieser Zeit hatte er auch die Freude am Biken wiederentdeckt. «Doch im Eignungstest fehlten mir fünf Punkte – in Französisch.» Also begann er in Winterthur eine Ausbildung als Restaurationsfachmann und im ersten Lehrjahr mit Trial-Biken. Ein Video des österreichischen Bike-Profis Fabio Wibmer bewegte ihn dazu. Dieses stellte sein Leben grundlegend auf den Kopf. Während der Zimmerstunden tastete sich Dähler in der Stadt an erste Tricks heran. Im Frühling 2018 lud er erstmals ein Video auf Instagram. Beachtung fanden auch weitere Filmchen vorerst nur im überschaubaren Kollegenkreis. Seine damaligen Fahrversuche waren simpel und oft schmerzhaft: «Ich sprang von einem Pingpongtisch und riss mir dabei das ganze Schienbein auf.»
— Von Tausenden auf Millionen Klicks
Zwei Stürze waren besonders wegweisend. Im November 2018 filmte Dähler, wie es ihn nach dem Überspringen eines Holzbalkens überschlug und er rückwärts voll darauf knallte. «Es grenzt an ein Wunder, dass ich mich dabei nicht verletzte.» Einige Monate später erwischte es ihn allerdings, er brach die rechte Ferse. «Es war eine komplizierte Fraktur, zur Stabilisation wurde mir eine Platte in den Fuss operiert.» Vier Jahre blieb sie drin. «Und erinnerte mich ständig daran, nicht zu viel Risiko einzugehen.» Vier Monate musste Dähler nach dem Eingriff pausieren. Da wurde ihm bewusst, dass sein Körper sein Kapital ist – heute mehr denn je.
Denn zwei Jahre später – inmitten der Pandemie – ging sein «Holzbank-Fail» plötzlich viral. Im Dezember 2020 erreichte das Video innert wenigen Tagen über 2,7 Millionen Views. Auf Instagram schnellte seine Abonnentenzahl in die Höhe. «Meine Community wuchs enorm.» Dähler nutzte die Gunst der Stunde und baute sie auch auf YouTube sowie TikTok aus. Mittlerweile folgen ihm über 28’000 Personen auf Instagram. Zusammen mit den 7400 auf Tiktok sowie 1400 auf Youtube kommt er auf über 36’000 Follower. Kein anderer Schweizer Street-Trial-Athlet weist mehr aus.
Immer professioneller: Mit besonderen Foto- und Videoaufnahmen erweitert er seine Community. Foto: Samuel Letsch
— Blaue Flecken bis zum Glücksgefühl
Auch wenn sein Erfolg auf den ersten Blick auf viel Glück im Unglück beruht, hat er ihn sich hart verdient. Mit vielen blauen Flecken beim jahrelangen Einüben seiner Tricks. «Kratzer gehören zum Alltag», sagt er lachend. Über drei Jahre hinweg feilte der Winterthurer an seinem jüngsten Kunststück, dem «Fakie-Nose-Manual». Dabei fährt Dähler auf dem Vorderrad rückwärts über 35 Meter bergab. «Das Gefühl, wenn es endlich klappt, ist unbeschreiblich.» Die Emotionen teilt er mit seinen Fans. Der «Foot-Jam-Whip», das Drehen des Bikes um die eigene Achse, zählt ebenfalls zu seinen Lieblingstricks und Spezialitäten. Er erweitert ihn stetig, wie seine Community.
Als Inspiration beim Einstudieren neuer Tricks dienen ihm Videos Gleichgesinnter – «das Rad kann ich ja nicht neu erfinden» – oder von Parkour Athleten. Street Trial Bike ist mit der urbanen Trendsportart vergleichbar. «Wir haben das Bike als Hilfsmittel, und ohne würde ich manchen Sprungwohl nie wagen», sagt Dähler. Auf der Suche nach neuen Spots begibt er sich virtuell auch mal auf Stadtführungen. Winterthur ist für ihn ein gigantischer Spielplatz, aber mittlerweile etwas ausgereizt. «Hier kenne ich fast jede Treppe und Mauer.» Deshalb dreht Dähler seine Runden und Videos inzwischen ebenso gern in anderen Städten. «Es gibt noch so viele Ecken zum Entdecken!»
Stolz auf seinen Titel: Dähler darf sich «Creator of the year 2022» in der Kategorie Sport nennen.
Foto: Nico Altherr
— Tipps im Netz und ein wachsendes Netzwerk
Der Winterthurer filmt sich aber nicht nur in Action, sondern gibt auch sein Wissen punkto Tricks weiter. Und was das Erstellen eigener Videos samt wesentlichen Details betrifft. So hat er seine Eigenproduktionen stetig professionalisiert und erweitert. Im vergangenen Dezember lud Dähler jeden Tag ein einminütiges Erklärvideo ins Netz. «Über 1,5 Millionen Leute haben diese Serie gesehen», berichtet er stolz.
Zu seiner Überraschung ernannte ihn Anfang Jahr eine deutsche Agentur zum «Creator of the year 2022» auf Instagram in der Kategorie Sport. Eine Auszeichnung, die ihm weitere Follower und Kontakte zu den Aushängeschildern der Szene einbringt. So wächst sein Netzwerk. Zudem darf er nun eng mit Fabio Wibmer, einer Koryphäe unter den Street-TrialBikern, zusammenarbeiten. Verträge mit Bikesponsoren oder Showaufträge, etwa als Moderator für das italienische Startup-Unternehmen Bikeflip S.R.L, gehören jetzt dazu. Und der Winterthurer darf sich an Europas grössten Bike-Events einfinden. Zudem gründete er 2021 seine eigene Kleidermarke. «Angefangen hat alles mit T-Shirts, die meine Kollegen und ich in einem Video trugen. Einige Zuschauer wollten wissen, wo man diese kaufen kann.» Inzwischen vertreibt er auch Hoodies, Pullover und mehr.